Martha Nussbaums Konzept der Grundfähigkeiten

Einfach einmal als Gedankenspiel – welche Grundfähigkeiten gelten AUCH oder NICHT für unsere Hunde?

(Fotoquelle: Wikipedia 2010)
(Fotoquelle: Wikipedia 2010)

Martha Nussbaum, geb. Craven, ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago.
Geboren: 6. Mai 1947 (Alter 68), New York City, Vereinigte Staaten,  Ausbildung: Harvard University (1975), New York University

Die aristotelische Philosophin Martha Nussbaum greift bei ihrer Betrachtung dessen, was ein gutes Leben ist, weniger die Tugendlehre von Aristoteles auf, sondern jene Überlegungen zur Verpflichtung eines Staates oder eines Gemeinwohls, zum Gedeihen menschlichen Lebens umfassend beizutragen. In diesem Sinne antwortet sie also eher auf die Frage, was „in der Gesellschaft“ verändert werden muss.

Die zentrale Frage, die Martha Nussbaum stellt, lautet dabei:

Geht einem Wesen diese Eigenschaft oder Eigenart ab, würden wir es dann noch als „Mensch“ bezeichnen? Oder weniger streng gefragt, was würden wir sagen, ist irgendwie typisch für „die Menschen“?

Damit will Nussbaum nicht sagen, dass es nicht Extremfälle in der Vielfalt menschlicher Lebenentwürfe gibt. Aber sie möchte die Klasse der Menschen als Spezies beschreiben gleichsam so wie wenn fremden Wesen die Menschen beschreiben würde. In diesem Sinne ist das von ihr beschriebene Grundgerüst eine Annäherung etwa in der Art, wie wenn wir sagen, dieses oder jenes Lebewesen hat „in der Regel“ diese Bedürfnisse und Fähigkeiten.

Nussbaum nennt folgende Punkte für die Spezies Mensch:

  • Menschen sind sterblich und haben eine Abneigung gegenüber dem eigenen Tod.
  • Menschen brauchen zum Leben Essen und Trinken und sie wollen im allgemeinen nicht hungrig und durstig sein.
  • Menschen haben ein Bedürfnis sich durch Kleidung und/oder Behausung vor Hitze, Kälte und Witterungen zu schützen.Das sexuelle Verlangen gehört mehr oder weniger zu jedem menschlichen Leben.
  • Menschen bewegen sich gerne fort und mögen es nicht, wenn sie dies nicht können.
  • Menschen haben eine Abneigung vor Schmerz.
  • Menschen haben die Fähigkeit sowohl Schmerz als auch Freude zu empfinden.
  • Menschen können mit ihren Sinnen wahrnehmen, sie können sich Dinge vorstellen und sie können denken.
  • Menschen erleben als Kleinkinder Zuwendung, aber auch Abhängigkeit und Bedürftigkeit von anderen, die sie prägen
  • Menschen planen und organisieren ihr Leben oder versuchen es zumindest.
  • Menschen möchten frei sein zu wählen, zu urteilen und dementsprechend zu handeln
  • Menschen kennen und empfinden „Verbundenheit mit“ und Anteilnahme für andere Menschen. Menschen leben mit anderen und bezogen auf andere und würden ein Leben, dass dieses nicht ermöglicht nicht als lebendwert betrachten.
  • Menschen spüren eine Verbundenheit mit anderen Lebewesen. Sie spüren dass Lebewesen anders behandelt werden wollen als ein Stein.
  • Menschen mögen Lachen und Spiele.
  • Menschen sind von anderen Menschen getrennt. „Wenn ein Mensch durch den Raum geht, folgt ihm nicht automatisch ein anderer.“
    Menschen erkennen sich im großen und ganzen als Wesen, die zumindest einen gewissen eigenen Bereich haben möchten, einen kleinen Raum, in dem sie sich bewegen, einige spezielle Dingen die sie benutzen oder lieben können.

Das Grundgerüst an Eigenschaften des menschlichen Lebens, das Martha Nussbaum skizziert, ist für sie keines, das ahistorisch feststeht oder eine Wahrheit vor aller Erfahrung ausdrücken soll. Diese Liste ist offen und kann jederzeit durch neue Erkenntnisse erweitert werden. Sie beschreibt nicht einen Kern oder ein abstraktes Wesen des Menschen, sondern soll ein Bild des Menschen zeichnen, von dem frau sagen kann, ja so ist der Mensch ungefähr, so lebt er und das braucht er. Werden die in dem Bild enthaltenen Eigenschaften nicht erfüllt, so spricht Nussbaum davon, dass ein betroffenes Wesen ein Leben führt, das man nicht als ein gutes menschliches Leben, unter Umständen nichteinmal als ein menschliches Leben bezeichnen kann.

Aus dieser Liste ergeben sich für Nusbaum spezifische Grundfähigkeiten, die für die politische Philosophie als Leitlinien dafür gelten können, was einem Menschen gewähtrt werden muss. Diese Fähigkeiten sind Hnadlungsdispositionen und sollten dementsprechend nicht mit ihrer Ausübung verwechselt werden. Menschen haben diese Fähigkeiten, aber sie üben sie nicht unbedingt aus:

  1. Die Fähigkeit, ein volles Menschenleben bis zum Ende zu führen; nicht vorzeitig zu sterben oder zu sterben, bevor das Leben so reduziert ist, dass es nicht mehr lebenswert ist.
  2. Die Fähigkeit, sich guter Gesundheit zu erfreuen; sich angemessen zu ernähren; eine angemessene Unterkunft zu haben; Möglichkeiten zu sexueller Befriedigung zu haben; sich von einem Ort zu einem anderen zu bewegen.
  3. Die Fähigkeit, unnötigen Schmerz zu vermeiden und freudvolle Erlebnisse zu haben.
  4. Die Fähigkeit, die fünf Sinne zu benutzen, sich etwas vorzustellen, zu denken und zu urteilen.
  5. Die Fähigkeit, Bindungen zu Dingen und Personen außerhalb unserer selbst zu haben; diejenigen zu lieben, die uns lieben und für uns sorgen, und über ihre Abwesenheit traurig zu sein; allgemein gesagt zu lieben, zu trauern, Sehnsucht und Dankbarkeit zu empfinden.
  6. Die Fähigkeit, sich eine Vorstellung vom Guten zu machen und kritisch über die eigene Lebensplanung nachzudenken.
  7. Die Fähigkeit, für andere und bezogen auf auf andere zu leben, Verschiedenheit mit anderen Menschen zu erkennen und zu zeigen, verschiedene Formen von familiären und sozialen Beziehungen einzugehen.
  8. Die Fähigkeit, in Verbundeheit mit Tieren, Pflanzen und der ganzen Natur zu leben und pfleglich mit ihnen umzugehen. Die Fähigkeit, zu lachen, zu spielen und Freude an erholsamen Tätigkeiten zu haben.
  9. Die Fähigkeit, sein eigenes Leben und nicht das von jemand anderes zu leben.
  10. Die Fähigkeit, sein eigenes Leben in seiner eigenen Umgebung und seinem eigenen Kontext zu leben.“

Martha C. Nussbaum: „Der aristotelische Sozialdemokratismus“; in: Martha C. Nussbaum: „Gerechtigkleit oder das gute Leben“; Frankfurt a.M. 1999; S. 67-58

Martha Nussbaums „Konzept der Grundfähigkeiten“

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